Arzneiverordnungs-Report 2018: Hochpreistrend verschärft sich

Berlin. Die Arzneimittelausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) inklusive der Zuzahlung der Versicherten lagen 2017 bei 39,9 Milliarden Euro, ein deutliches Plus von 1,4 Milliarden Euro beziehungsweise 3,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr. „Hauptursache dieses Anstiegs sind die patentgeschützten Arzneimittel, auf die im vergangenen Jahr 18,5 Milliarden Euro des GKV-Arzneimittelmarktes entfielen. Damit hat sich ihr Umsatzanteil in den letzten 20 Jahren von 33 Prozent auf 45 Prozent erhöht“, sagt Prof. em. Dr. med. Ulrich Schwabe, Herausgeber des Arzneiverordnungs-Reports 2018.

Jürgen Klauber, ebenfalls Herausgeber des Arzneiverordnungs-Reports und Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO), bestätigt die deutliche Verschiebung der Arzneimittelausgaben hin zu Hochpreistherapien für häufig kleinere Patientengruppen. „Einige Krankheitsgruppen zeichnen sich dadurch aus, dass sie besonders geringe Verordnungsmengen haben, aber sehr teure patentgeschützte Arzneimittel eingesetzt werden. So wurden etwa für die Behandlung von Krebserkrankungen, Viruserkrankungen und von schwerwiegenden Erkrankungen des körpereigenen Abwehrsystems 34 Prozent aller Arzneimittelausgaben verwendet, bei nur einem Prozent aller verordneten Tagesdosen“, sagt Klauber. Damit habe sich der Ausgabenanteil für diese Therapiegebiete von 2007 bis 2017 verdoppelt.

Umsatz für Biologika hat sich verdreifacht

Mit Blick auf ihre hohen Preise stellen auch Biologika zunehmend eine große Herausforderung dar. Sie werden für die Therapie von Krebs und chronisch-entzündlichen Erkrankungen eingesetzt. Laut Arzneiverordnungs-Report lag ihr Umsatz 2017 bei 11,3 Milliarden Euro und hat sich somit seit 2007 verdreifacht. Zwar sind seit mehr als zehn Jahren Biosimilars – Nachahmerprodukte von Biologika – verfügbar, doch deren Marktdurchdringung ist noch immer gering. Verantwortlich ist dafür unter anderem die Anbieterstruktur. Von insgesamt 14 Biosimilaranbietern waren 2017 sechs Originalanbieter beziehungsweise deren Tochterfirmen, auf welche in der Summe 83 Prozent der gesamten Ausgaben für Biosimilars entfielen. „Auch das nicht immer seriöse Marketing der pharmazeutischen Unternehmer für ihre umsatzstarken Originalpräparate, ihre Bestrebungen den Patentschutz zu verlängern oder Konkurrenzprodukte vom Markt fernzuhalten, spielen eine Rolle bei den geringen Verordnungsquoten von Biosimilars. Hinzu kommt, dass viele Ärzte immer noch zu wenig über den rationalen Einsatz von Biosimilars wissen“, sagt Prof. Dr. med. Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) und Herausgeber des Arzneiverordnungs- Reports.

Der Hochpreistrend zeigt sich auch bei den sogenannten Orphan-Arzneimitteln gegen seltene Erkrankungen. 2017 erzielten alle Arzneimittel, die jemals als Orphan-Arzneimittel zugelassen wurden, einen Umsatz von 3,3 Milliarden Euro. Das entspricht einem Anteil von rund acht Prozent des GKV-Gesamtumsatzes. In den letzten zehn Jahren hat sich dieser Umsatzanteil verdreifacht. Unter den zehn teuersten Markteinführungen des Jahres 2017 befanden sich sieben Orphan-Arzneimittel, alle mit Jahrestherapiekosten über 100.000 Euro. Das teuerste Orphan-Arzneimittel kommt sogar auf rund 750.000 Euro. Doch mehr und mehr zeigt sich, dass die mit dem Orphan-Status verbundenen Absichten von der Pharmaindustrie ausgenutzt werden. So wird der Status nicht nur für tatsächlich seltene Erkrankungen (fünf Betroffene je 10.000 Personen) verwendet, sondern auch für solche, die durch das Teilen von Anwendungsgebieten in mehrere, kleinere Subgruppen entstehen. Schon heute gibt es eine Reihe von als Orphan Drug gestarteten Arzneimitteln mit GKV-Ausgaben im dreistelligen Millionenbereich, die für diverse Orphan-Indikationen zugelassen sind.

Hochpreistrend belastet die Krankenkassen

Der Hochpreistrend belastet auch die Krankenkassen, denn in Deutschland wird jedes zugelassene Arzneimittel unmittelbar mit dem Markteintritt vollständig von der GKV erstattet. In den ersten zwölf Monaten zu dem Preis, den der Pharmahersteller festlegt. Dieses Vorgehen ist einzigartig in Europa.

„Mit Blick auf den Hochpreistrend bei den neuen patentgeschützten Arzneimitteln müssen wir uns fragen, wie lange die gesetzliche Krankenversicherung in der Lage sein wird, derartige Preise zu tragen. Die Pharmaindustrie sollte nicht den Ast absägen, auf dem sie sitzt“, so Martin Litsch, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes. Deshalb fordert die AOK rückwirkende Preise für alle neuen Arzneimittel zum ersten Tag des Markteintritts. Litsch: „Das wäre ein Signal an die Pharmafirmen, dass es sich nicht lohnt, mit überhöhten Preisen in den Markt zu gehen und in den Verhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband überzogene Ansprüche an die Kostenerstattung durch die GKV zu stellen. Die Beitragszahler der gesetzlichen Krankenkassen sind nicht dazu da, Pharmafirmen ihre Traummargen zu finanzieren.“

Hintergrund

Der Arzneiverordnungs-Report ist das Standardwerk für den deutschen Arzneimittelmarkt. Seit mehr als 30 Jahren bietet er eine unabhängige Informationsmöglichkeit über die verschiedenen Komponenten der Arzneimittelverordnung und trägt damit zur Transparenz des Arzneimittelmarkts, zur Bewertung von Arzneimitteln und zu einer sowohl zweckmäßigen und sicheren evidenzbasierten als auch wirtschaftlichen Arzneitherapie bei. Im Arzneiverordnungs-Report werden die Arzneimittel- Rezepte für die Patienten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) analysiert. So schafft er seit Jahren eine wissenschaftlich fundierte Grundlage für den fachlichen Austausch zwischen Ärzten, Apothekern und Krankenkassen. Sämtliche Analysen im Arzneiverordnungs-Report basieren auf den Verordnungsdaten des GKV-Arzneimittelindex. Das Projekt GKV-Arzneimittelindex, das ein Projektbeirat mit allen relevanten Beteiligten im Arzneimittelmarkt begleitet, wird im Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO) seit 1985 durchgeführt.

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